Studie zur Umsetzung des ÖGD-Pakts in Hessen: Personalsituation in Gesundheitsämtern verbessert
Lauxen, Oliver; Morici, Sabrina; Brose, Susanne
Im September 2020 haben Bund und Länder den „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ beschlossen. Der Bund stellt seither finanzielle Mittel für Personalaufstockungen, für Digitalisierungsaktivitäten und für Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des ÖGD bereit. Bis Ende 2023 sind deutschlandweit gut 4.800 Stellen in Vollzeitäquivalenten (VZÄ) mit Mitteln aus dem ÖGD-Pakt neu geschaffen worden. Eine Studie, die das Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege (HMFG) durchgeführt hat, nimmt die Pakt-Umsetzung im Bundesland Hessen in den Blick (Lauxen & Morici, 2024).
Datenerhebungen bei den Gesundheitsämtern
Ziel der Studie war es, Transparenz über die Verwendung der Paktmittel und die aktuelle Personalsituation in den 24 hessischen Gesundheitsämtern zu schaffen. Zudem wurden die Rahmenbedingungen, die den Personalaufwuchs beeinflusst haben, sowie die bestehenden Herausforderungen untersucht. Zwischen November 2023 und März 2024 nahmen alle Ämter zunächst an einer schriftlichen Befragung teil, deren Ergebnisse mit Microsoft Excel ausgewertet wurden. Im Anschluss an die Fragebogenerhebung führte das IWAK zwischen Januar und April 2024 Experteninterviews mit Amtsleitungen, Verwaltungsleitungen und teilweise weiteren Teilnehmenden aus den Ämtern. Alle 24 Ämter haben teilgenommen, insgesamt wurden 29 Interviews mit 49 Personen geführt. Die Mehrheit der Interviews wurden per Videokonferenz geführt, zwei fanden telefonisch und eines vor Ort im Gesundheitsamt statt. Die Auswertung der Interviewprotokolle erfolgte mit der Software MAXQDA.
Bereits im Sommer 2021 und Anfang des Jahres 2022 hatte das IWAK vergleichbare Daten bei den hessischen Gesundheitsämtern erhoben. Diese können nun als Vergleichsdaten herangezogen werden. Des Weiteren standen dem Institut Datenbestände des HMFG für die Auswertungen zur Verfügung.
Eine Typologie der Gesundheitsämter
Um die Heterogenität des ÖGD abzubilden und gleichzeitig die Anonymität der einzelnen Gesundheitsämter zu wahren, wurde eine Typologie entwickelt, bei der jedes Amt einem von drei Typen zugeordnet wurde. Die Ämter innerhalb eines Typus weisen starke Ähnlichkeiten auf, während sie sich von Ämtern der anderen Typen unterscheiden. Das entscheidende Merkmal für die Zuordnung eines Gesundheitsamtes zu einem Typus war der thematische Schwerpunkt, den die befragten Führungskräfte in den Interviews mehr oder weniger bewusst gesetzt haben. Obwohl alle Interviews nach dem gleichen Leitfaden durchgeführt wurden, erlaubten die offenen Fragen individuelle Schwerpunktsetzungen. Nichtsdestotrotz gestaltete sich die Zuordnung der einzelnen Ämter zu einem Typus nicht immer einfach. Die Typologie zeigt aber die Vielfalt der Herausforderungen, mit denen der ÖGD konfrontiert ist, sowie die unterschiedlichen Nuancierungen, die in den Ämtern vorgenommen werden.
Bei den Gesundheitsämtern vom Typ 1 („Gesundheitsämter mit Fokus auf Zukunftsperspektiven“) handelt es sich meist um kleinere Organisationen, in denen vor allem Perspektiven für die nächsten Jahre diskutiert werden. Nicht wenige Amtsleitungen erreichen in absehbarer Zeit das Renteneintrittsalter, und die Nachfolge ist nicht überall gesichert. Die Personalrekrutierung bereitet enorme Schwierigkeiten, was unter anderem mit der ländlichen Lage der Ämter zusammenhängt. Fehlende personelle Ressourcen erschweren die Bearbeitung neuer Aufgabenbereiche im ÖGD.
Die Gesundheitsämter vom Typ 2 („Gesundheitsämter mit Fokus auf fachliche Herausforderungen“) sind etwas größere Organisationen als die Ämter vom Typ 1. Rekrutierungsprobleme betreffen hier vor allem das (fach-)ärztliche Personal. Die Leitungen stellen die Sinnhaftigkeit der Arbeit im ÖGD und die vielfältigen Aufgaben und Möglichkeiten, sich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln, in den Vordergrund. Ziel ist es, dass die Mitarbeitenden ihre Fachlichkeit im beruflichen Alltag verwirklichen können. Darüber wird die Mitarbeiterbindung gestärkt.
Ämter vom Typ 3 („Gesundheitsämter mit Fokus auf Veränderungsprozesse“) sind mittelgroße bis große Organisationen, die sich durch ein hohes Maß an Dynamik und Agilität auszeichnen. Es geht den Führungskräften – den Verwaltungsleitungen kommt hier eine besondere Bedeutung zu – darum, zukunftsfähige Strukturen und Prozesse im Amt aufzubauen. Es werden vielfältige, teilweise neue Strategien zur Personalgewinnung erprobt.
Verbesserung der Personalsituation in den vergangenen Jahren
In den Interviews wurden Amts- und Verwaltungsleitungen gefragt, wie sie die aktuelle Personalsituation in ihrem Gesundheitsamt beschreiben würden und wie sich die Lage in den vergangenen Jahren verändert hat. Für das Frühjahr 2021 liegen vergleichbare Angaben vor. Es wird deutlich, dass sich die Personalsituation in allen 24 hessischen Gesundheitsämtern verbessert hat. Neun Ämter sehen sich personell insgesamt gut aufgestellt, neun weitere Ämter sehen sich bis auf den ärztlichen Bereich gut ausgestattet. Sechs Ämter sehen sich weniger gut aufgestellt.
Die Einschätzungen zur Personalausstattung variieren je nach Typus (siehe Abb. 2). Die meisten Ämter vom Typ 1 haben große Schwierigkeiten mit der Rekrutierung (fach-)ärztlichen Personals. Ihre Lage im ländlichen Raum des Bundeslandes erschwert die Personalgewinnung. Die Ämter vom Typ 2 beschreiben weniger Stellenbesetzungsprobleme und sehen sich mehrheitlich gut aufgestellt. Die Ämter vom Typ 3 schätzen die Lage dagegen sehr unterschiedlich ein. Die sechs Ämter mit unzureichender Personallage gehören zu unterschiedlichen Typen, finden sich jedoch alle im urbanen Teil des Bundeslandes, nämlich im Rhein-Main-Gebiet. Dies zeigt, dass die aktuelle Personalsituation von vielen unterschiedlichen, z.B. auch regionalen Faktoren abhängt.
Vakanzen auch auf Amtsleitungsebene
Auch wenn sich die Personalsituation in den hessischen Gesundheitsämtern verbessert hat, bestehen weiterhin Vakanzen. Diese werden insbesondere dann als problematisch beschrieben, wenn sie das ärztliche Personal betreffen. Alleine zehn der 24 Ämter haben von offenen Facharztstellen im Sozialpsychiatrischen Dienst berichtet. Hinzu kommen offene ärztliche Stellen im Kinder- und Jugendärztlichen sowie im Amtsärztlichen Dienst. Je höher die fachlichen Anforderungen, desto schwieriger gestaltet sich die Stellenbesetzung.
In drei der 24 Ämter war die Stelle der Amtsleitung zum Zeitpunkt der Befragungen vakant. In sieben weiteren Gesundheitsämtern wird die Amtsleitung bis Ende 2026 in Rente gehen, wobei die Nachfolge noch nicht überall gesichert ist. Zwei weitere Ämter suchten zum Zeitpunkt der Befragung eine stellvertretende Amtsleitung.
Beim nicht-ärztlichen Fachpersonal sind es insbesondere die Hygienekontrolleurinnen und -kontrolleure, die kaum auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind. Die Gewinnung von Verwaltungspersonal gelingt den meisten Ämtern dagegen derzeit noch besser. Allerdings wird auch im Verwaltungsbereich von rückläufigen Bewerberzahlen und von Konkurrenz zwischen den zahlreichen, um Personal konkurrierenden Behörden berichtet. Im Vergleich der drei Typen erscheinen Rekrutierungsprobleme im Typ 1 – nicht nur beim ärztlichen Personal – am stärksten ausgeprägt.
Mehr als 700 besetzte Paktstellen in hessischen Gesundheitsämtern
Die Mittel aus dem ÖGD-Pakt haben wesentlich zur Verbesserung der Personalsituation in den hessischen Gesundheitsämtern beigetragen. Alleine im Jahr 2021 sind 352,3 VZÄ an neuen Stellen über Paktmittel mit dem HMFG abgerechnet worden, im Jahr 2022 folgten weitere 272,5 VZÄ. Für das Jahr 2023 liegen differenzierte Angaben aus der schriftlichen Befragung der Ämter vor: Demnach sind 97,5 VZÄ neu besetzt worden. Zusätzlich haben die Ämter Stellen besetzt, die bereits in den Vorjahren mit Mitteln des ÖGD-Pakts geschaffen, aber bislang noch nicht besetzt werden konnten oder nachbesetzt werden mussten; dabei handelte es sich um 66,9 VZÄ. Werden diese Werte addiert, ergibt sich eine Summe von 789,2 VZÄ. Allerdings waren im Jahr 2023 auch 66,8 VZÄ, die in den Vorjahren geschaffen worden sind, wieder oder immer noch vakant. Für eine Berechnung der tatsächlich besetzten Paktstellen müssen diese Vakanzen wieder abgezogen werden. Insgesamt kann in Hessen demnach von 722,5 VZÄ an besetzten Paktstellen ausgegangen werden (siehe Abb. 3).
So erfreulich dieser Personalaufwuchs erscheinen mag: Von einer Überschätzung der Anzahl der besetzten Paktstellen ist auszugehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit taucht ein Teil ehemals befristeter Paktstellen im Falle einer späteren Entfristung in den Aufwüchsen der Folgejahre wieder auf. Gleiches gilt für Stellen, die nachbesetzt werden mussten. An dieser Stelle weisen die Daten daher Limitationen auf.
Unzufriedenheit trotz Personalaufwuchs
Insgesamt fällt der Aufwuchs in den Ämtern vom Typ 2 am höchsten aus. Dies wird deutlich, wenn die Aufwüchse 2021-2023 der Bevölkerungszahl gegenübergestellt werden. Pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner konnten in Hessen insgesamt 11,3 VZÄ an Aufwuchs realisiert werden. Die Ämter vom Typ 2 liegen mit einem Wert von 13,3 VZÄ deutlich über dem Landesschnitt, die Ämter vom Typ 1 liegen mit 9,7 VZÄ darunter (siehe Abb. 4).
Nichtsdestotrotz sind die Gesundheitsämter aller drei Typen mit dem Erreichten nicht zufrieden. Dies dürfte insbesondere damit zu erklären sein, dass es kaum gelingt, ärztliches Personal zu rekrutieren. 42 Prozent der Ämter gaben an, mit dem erreichten Aufwuchs beim ärztlichen Personal „überhaupt nicht“ oder „eher nicht“ zufrieden zu sein. Nur 4 Prozent konnten ihre Ziele „vollständig“ erreichen. Beim nicht-ärztlichen Personal beträgt der Anteil der Gesundheitsämter, die mit dem Erreichten unzufrieden sind, lediglich acht Prozent (siehe Abb. 5).
Die Frage der Nachhaltigkeit
14 der 24 hessischen Gesundheitsämter haben für die Jahre 2024 bis 2026 weitere Aufwüchse mit Paktmitteln geplant, wobei der Planungsstand unterschiedlich konkret ist. Allerdings hängt das Auslaufen des Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst wie ein Damoklesschwert über den Ämtern. Viele Amts- und Verwaltungsleitungen befürchten, dass die Kommunen die Weiterfinanzierung der mit Paktmitteln geschaffenen Stellen nach 2026 angesichts angespannter Haushaltslagen nicht übernehmen können. Selbst unbefristete Stellen könnten durch Nachbesetzungssperren langfristig wieder aus den Stellenplänen gestrichen werden. Hinzu kommt, dass der ÖGD mit Abklingen der Corona-Pandemie nicht mehr im Fokus steht und die Kommunalpolitik andere Prioritäten setzt. Insofern wird vom ÖGD-Pakt als „Strohfeuer“ oder als „Tropfen auf den heißen Stein“ gesprochen. Gefordert wird, dass die Landesregierung mit dem Bund und den kommunalen Spitzenverbänden ins Gespräch geht, um die Finanzierung der Paktstellen oder zumindest eines Teils der Stellen langfristig abzusichern. Das Land steht hier gemeinsam mit den anderen Bundesländern in einem Diskussionsprozess mit dem Bund. Ein Ergebnis dieser Verhandlungen liegt jedoch noch nicht vor.
Resümee: Vielfältige Herausforderungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst
Die Personalsituation in den hessischen Gesundheitsämtern hat sich in den vergangenen Jahren verbessert, und die Mittel aus dem ÖGD-Pakt haben Wirkung gezeigt. Neben der Frage der Nachhaltigkeit der Stellenaufwüchse sind die Ämter zukünftig mit weiteren, vielfältigen Herausforderungen konfrontiert.
Die Personalgewinnung bereitet insbesondere im ärztlichen Bereich große Schwierigkeiten. Gründe hierfür sind der geringe Bekanntheitsgrad des ÖGD, die schlechteren Verdienstmöglichkeiten im Vergleich zum ambulanten und stationären Sektor sowie die mangelnde Attraktivität der Arbeit im Gesundheitsamt. Die Absicherung der ärztlichen Amtsleitung ist vor dem Hintergrund zu erwartender altersbedingter Berufsaustritte insbesondere in den Ämtern vom Typ 1 virulent. Nur 17 der 24 Gesundheitsämter in Hessen waren zum Zeitpunkt der Befragungen als Weiterbildungsstätte für die Weiterbildung zur Fachärztin bzw. zum Facharzt für ÖGW zugelassen. In drei davon dürfte die Weiterbildungsermächtigung mit dem Renteneintritt der derzeitigen Amtsleitung bis 2026 erlöschen. Teilweise befindet sich ärztliches Personal noch in der Weiterbildung oder in der Stehzeit. Mit der Gründung von Weiterbildungsverbünden könnte die Lage deutlich verbessert werden. Dies scheitert jedoch aktuell an den Regularien der Landesärztekammer Hessen. Insgesamt sind Weiterbildungsangebote nicht nur zur Nachwuchsgewinnung als relevant, sondern auch als bedeutsamer Faktor bei der Personalrekrutierung anzusehen.
Neben der Personalgewinnung werden auch Maßnahmen zur Personalbindung und zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität immer wichtiger. Die Bedeutsamkeit einer wertschätzenden, partizipativen Führungs- und Organisationskultur, Investitionen in Personalentwicklung, moderne Arbeitsbedingungen stehen in vielen Ämtern auf der Agenda. Hinzu kommen Herausforderungen durch Digitalisierungsanforderungen und – damit verbunden – durch den Aufbau von Wissensmanagement-Systemen. Angesichts des altersbedingten Ersatzbedarfs und von Fluktuation wird die Sicherung von formellem und informellem Wissen immer wichtiger. Die Ämter vom Typ 3 sind hier besonders aktiv. Auch Fragen zur Arbeitsorganisation und Delegation stehen zur Diskussion. Angesichts der knappen ärztlichen Ressourcen stellt sich die Frage der Arbeitsteilung, insbesondere zwischen ärztlichem und nicht-ärztlichem Fachpersonal.
Neben personalpolitischen und organisatorischen Herausforderungen müssen in den Gesundheitsämtern auch zahlreiche fachliche Aufgaben bewältigt werden. In Folge des Klimawandels entstehen neue Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit. Durch zunehmende Migrationsbewegungen rücken Krankheitsbilder wie Tuberkulose oder HIV wieder stärker in den Fokus. Aufgrund sprachlicher Barrieren steigen die Aufwände bspw. für Schuleingangsuntersuchungen. Die demografische Entwicklung und überlastete Versorgungsstrukturen erfordern ein Eingreifen der Gesundheitsämter bei akuten Engpässen. Zudem ist der Ausbau von Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung notwendig. All diese Herausforderungen können von den Gesundheitsämtern nur bearbeitet werden, wenn sie über ausreichend gut qualifiziertes Personal verfügen. Die Absicherung der personellen Aufwüchse der vergangenen Jahre ist deshalb von höchster Dringlichkeit.
Literatur:
Lauxen, Oliver & Morici, Sabrina (2024): 3. Bericht der wissenschaftlichen Begleitung zur Umsetzung des Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst in Hessen. Im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege. Unveröffentlichter Projektbericht.