STI-Beratung: Unabdingbare Antidiskriminierungsarbeit – Zur Situation in der Bochumer Beratungsstelle WIR

Ein Statement von Theresa Voß – WIR

Zu den vielfältigen Aufgaben der Gesundheitsämter gehört auch die Beratung rund um das Thema sexuell übertragbare Krankheiten (STI), zu denen auch HIV, Syphilis oder Mpox zählen. Seit mehreren Jahren beobachten die zuständigen Behörden einen Anstieg der Infektionsfälle quer durch alle Bevölkerungsgruppen. Wie sieht die Situation in einer Beratungsstelle aus? Welche Personengruppen werden nicht oder nur schwer erreicht? Wo liegen die inhaltlichen Schwerpunkte der Beratung und auf was kommt es dabei wirklich an?
Diese und weitere Fragen beantwortet Theresa Voß vom WIR-Walk In Ruhr, Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin. Sie leitet dort seit einigen Jahren den Arbeitsbereich STI-Beratung. 

Das Bild zeit Theresa Voß
WIR Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin

„Die Beratungen sind sehr unterschiedlich und vielfältig. Viele Menschen haben allgemeine Fragen zu STI, beispielsweise zu Übertragungswegen, Schutzmöglichkeiten, Diagnostik oder Behandlung. Darüber hinaus möchten einige Personen auch über eigene Herausforderungen im Bereich Sexualität und Beziehungen sprechen. Oft geht es hierbei um die Kommunikation der eigenen Wünsche und Grenzen gegenüber ihren Sexualpartner*innen oder um Veränderungswünsche in Bezug auf das eigene Sexleben oder die Partnerschaft.

Wissensvermittlung und sexuelle Bildung ist ein wichtiger Bestandteil von Prävention im Bereich sexueller Gesundheit. So können Handlungs- und Kommunikationskompetenzen gestärkt werden und Menschen können dieses Wissen in konkreten Situationen ein- und umsetzen. Auch wenn dieser Effekt oft schwer messbar ist, bin ich überzeugt, dass hierdurch ein großer Mehrwert für einzelne Personen aber auch für den Umgang mit Sexualität und STI in der Gesamtgesellschaft entsteht. Das ist unabdingbar für Antidiskriminierungsarbeit und die Entstigmatisierung von STI, die meiner Wahrnehmung nach noch immer sehr stark ist.

Die Gruppe unserer Besucher*innen ist sehr heterogen. Es kommen verschiedene Menschen zu uns – unabhängig von Alter, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Da wir sowohl personalisierte als auch anonyme Test- und Beratungsangebote vorhalten, sind die Lebenssituationen der Ratsuchenden sehr unterschiedlich. Ob sich die Situation der Menschen verändert hat, kann ich schwer beurteilen. Es ist aber deutlich, dass die Anfragen nach Beratung stetig steigen.

Viele Personengruppen haben Bedarfe, die durch die Regelversorgung nicht abgedeckt werden. Hier ist es wichtig, dass mehr zielgruppenspezifische Angebote geschaffen werden, die auf die Bedarfe der Menschen ausgerichtet sind und möglichst niederschwellig erreichbar sind. Um Zugangsbarrieren, Scham und Vorbehalte im Bereich sexuelle Gesundheit abzubauen, benötigt es jedoch personelle und finanzielle Ressourcen – diese sind oft nicht ausreichend vorhanden.

Unter unserem Dach finden sich medizinische, psychosoziale und therapeutische Angebote – diese multiprofessionelle Zusammenarbeit zeichnet und aus und ermöglicht eine qualitativ hochwertige und kompetente Versorgung von Ratsuchenden.

Ich würde mir eine verstetigte und angemessene Finanzierung von psychosozialen Beratungsangeboten im Bereich sexuelle Bildung und Gesundheit wünschen – die aktuell drohenden Kürzungen der finanziellen Mittel für Prävention in NRW lassen jedoch nicht hoffen, dass dieser Wunsch bald wahr wird.“
 

Zum WIR:

Seit 2016 findet sich mit dem WIR-Walk In Ruhr, Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin, in Bochum eine interdisziplinäre, ganzheitliche und sektorübergreifende Einrichtung, in der verschiedene Beratungs-, Begleitungs- sowie Diagnostik- und Behandlungsangebote rund um sexuelle Gesundheit angeboten werden. Fachkräfte arbeiten hier in einem multiprofessionellen Setting in dem Bestreben, Zugänge zu sexueller Bildung und Gesundheit niederschwellig zu gestalten und vielfältige Angebote zu ermöglichen. Folgende lokale medizinische und psychosoziale Beratungseinrichtungen arbeiten hier zusammen: die Interdisziplinäre Immunologische Ambulanz, Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin, der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie (Ruhr Universität Bochum) des Katholischen Klinikums Bochum, das Gesundheitsamt Bochum, die Aidshilfe Bochum e.V. sowie Madonna e.V., pro familia e.V. und Rosa Strippe e.V.

Zur Autorin:

Theresa Voß ist Sozialarbeiterin und hat einen Masterabschluss in Gender Studies. Sie arbeitet seit 2018 im Walk In Ruhr und ist dort im Bereich Sexual Health Advising tätig. Sie ist für die Beratung und Begleitung von Ratsuchenden zu verschiedenen Themen im Bereich sexuelle Gesundheit sowie die für Konzeption und Durchführung von Angeboten zu sexueller Bildung zuständig und leitet diesen Arbeitsbereich seit einigen Jahren. 
 

Weitere Statements zum Thema STI und Beratung im ÖGD finden sich in der aktuellen Blickpunkt-Ausgabe. Die Blickpunkt-Radaktion hat die Hamburger STI-Beratungsstelle CASAblanca in Altona besucht. Hier finden unter anderem Sexarbeitende nicht nur Rat, sondern auch medizinische Versorgung – ein wichtiges Thema für die Stadt Hamburg mit ihrem Kiez und der Reeperbahn.

Wie stark die Arbeit in der STI-Beratung des ÖGD bereits seit den 80er Jahren von Ausgrenzung und Stigmatisierung beeinflusst war, und wie das Beratungsangebot sich im Umgang damit entwickelt hat, darüber gibt Heidrun Nitschke im Blickpunkt-Interview Auskunft. Sie war eine der ersten Gynäkologinnen in der STI-Beratung eines deutschen Gesundheitsamts.